Der lateinische Ausspruch Sapere aude! erlangte vornehmlich durch den Philosophen Immanuel Kant Bekanntheit, der die Wortfolge in seinem Aufsatz Was ist Aufklärung zum Leitspruch der Aufklärung (vgl. Literaturepochen) erklärte. Kant übersetzte die Wörter Sapere aude! mit Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, wenngleich eine wortwörtliche Übersetzung im Deutschen eher Wage es, weise zu sein! lauten würde. Doch auch, wenn diese Wortfolge vornehmlich mit Kant in Verbindung gebracht wird, geht sie tatsächlich auf den antiken Dichter Horaz zurück.
Horaz (65 v. Chr. – 8 v. Chr), eigentlich Quintus Horatius Flaccus, gilt neben Vergil, Properz, Tibull sowie Ovid als einer der bedeutsamsten Dichter des augusteischen Zeitalters. Vorerst verfasste Horaz zahlreiche Oden, widmete sich aber ab 20 v. Chr. vor allem dem ersten Buch der Epistulae, den sogenannten Episteln. Diese Episteln sind Briefgedichte in Hexametern, in denen sich auch der Ausspruch sapere aude findet.
Dimidium facti, qui coepit, habet; sapere aude,
incipe. […]
Der obige Auszug besteht grundsätzlich aus drei Teilen. Nämlich (1) Dimidium facti, qui coepit, habet;, (2) sapere aude und dem Wort (3) incipe. Der erste Teil ist in den vergangenen Jahrhunderten selbst zu einem Sprichwort geworden und lässt sich mit (1) Die Hälfte der Tat hat geleistet, wer begonnen hat übersetzen. Etwas griffiger erscheint dabei allerdings die Übersetzung Frisch gewagt ist halb gewonnen!.
Der zweite Teil lässt sich, wie bereits beschrieben, in etwa mit (2) Wage es, weise zu sein! übersetzen. Hier ist aude der Imperativ (Befehlsform) von audere (lat.: wagen, wollen, begierig sein), wobei sapere im Infinitiv steht. Das Wort sapere bedeutet eigentlich schmecken und lässt sich nur in einem übertragenen Sinne mit verstehen oder auch Weisheit erlangen übersetzen. (3) incipe ist auch ein Imperativ und meint: Fang an!
Die Hälfte der Tat hat geleistet, wer begonnen hat; wage es, weise zu sein,
fang an! […]
Die oben stehende Übersetzung ist eine ungefähre Übertragung des Hexameters in die deutsche Sprache. Inhaltlich bezieht sich Horaz‘ Vers auf Homer und darauf, welche moralischen Lehren man aus dessen Werk ziehen kann. Horaz spricht sich hierbei für das Überwinden der Trägheit des Menschen aus und appelliert daran, dass der Mensch sich tatkräftig um das Bilden von Lebensweisheit bemühen sollte.
Sapere aude! und die Aufklärung
Der Philosoph Immanuel Kant verhalf dem Ausspruch zu seiner heutigen Bekanntheit, weshalb den wenigsten der horazische Urspriung geläufg ist. Kant übernahm die Wortfolge in seinem Essay zur Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? und erklärte sie zum Leitspruch der Aufklärung. Wortwörtlich heißt es bei Kant, der das Ganze mit der oben stehenden Übersetzung belegt:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Kurzübersicht: Das Wichtigste zum lateinischen Ausspruch im Überblick
Sapere aude ist eine lateinische Wortfolge, die auf den antiken Dichter Horaz zurückgeht und sich mit wage es, weise zu sein übersetzen lässt. Bekannt wurde der Ausspruch aber vor allem durch den Philosophen Immanuel Kant, der ihn zum Leispruch der Aufklärung machte und als Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! deutete
Friedrich Schiller griff den Ausspruch in seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) ebenfalls auf und übersetzte sie als Erkühne dich, weise zu sein, wobei er diesen vielbedeutenden Ausdruck als Äußerung eines alten Weisen benennt.
Hinweis: Auf den Dichter Horaz gehen übrigens noch viele weitere Wendungen in lateinischer Sprache zurück, wie etwa die Begrifflichkeiten in medias res oder ab ovo, die Erzähltechniken beschreiben oder auch ein bekanntes Leitmotiv des Barocks: carpe diem.